Pyramidenmeditation

Eine Reise ins Land der Pharaonen

von David Luczyn

Wahrlich ein göttliches Land, dieses Ägypten, was die Zahl der Götter, der Mythen und der Relikte in Form von Tempeln, Pyramiden und Grabstätten betrifft! Diese Tatsache einerseits und die reichlich vorhandene Sonne andererseits machen es zu einem beliebten Urlaubsziel. Trotz fundamentalistischer Umtriebe und gelegentlicher terroristischer Aktionen hat Ägypten mit fünfzehn Prozent die zur Zeit höchste Zuwachsrate beim Tourismus. Von Dezember bis April ist hier regelmäßig die Hölle los: Bus- und schiffsweise überfluten Besucher Tempelanlagen und Grabstätten einer längst vergangenen Kultur, die an Gigantomanie kaum zu überbieten ist.

Durch einen Traum und ein paar Zufälle, die natürlich keine waren, hatte sich kurzfristig für mich und zwei Freunde die Gelegenheit ergeben, nach Ägypten zu reisen dazu noch an Equinox (Tag- und Nachtgleiche am 21. März), ein in alten Kulturen fast genauso heiliges Datum wie die Sonnenwende. Nach einem nur viereinhalbstündigen Flug errreichen wir Luxor. Es ist eine Wohltat, endlich den deutschen Minustempera-turen entkommen zu sein, und so legen wir mit unseren Klamotten auch den Streß der letzten Tage ab.

Unsere Zimmer befinden sich im 5. Stock des Isis-Hotels: mit Blick auf den Nil und einen Swimming-Pool. Daß auf einem Fluß viel los sein kann, merken wir bald. 300 Kreuzfahrtschiffe schippern laufend den Nil hoch und runter und alle halten in Luxor. Zwei bis drei davon liegen genau vor dem Hotel und lassen zwecks Stromversorgung rund um die Uhr die Motoren laufen: ein Geräusch, an das wir uns nur mit geschlossenen Balkontüren gewöhnen können ... Es ist Hochsaison, und das kann man überall merken. Für Touristen ist alles zwei- bis dreimal so teuer wie für Einheimische.

Nachdem wir die ersten Abende in einem Nobelrestaurant noch 50 DM zu dritt ausgeben, entdecken wir später in der Stadt ein Restaurant, wo wir für die Hälfte fast doppelt soviel essen und trinken können allerdings hauptsächlich deshalb, weil wir aus Versehen die Karte für Einheimische erwischen: reichlich frisch gepreßten Orangen- und Grapefruitsaft für sechzig Pfennig das Glas und dazu eine dicke Kartoffelpizza für 2,50 DM.

Die Kellner und auch die Kutschenfahrer werden schnell sehr freundlich und kumpelhaft und sind erstaunlich vertrauensselig. Mustafa, der Fahrer, den wir am dritten Tag anheuern und pauschal für sieben DM pro Abend mieten, besorgt uns Obst und andere Kleinigkeiten, läßt uns ohne Vorkasse eine Stunde bummeln und wartet ohne Mißtrauen, Wasserpfeife schmauchend, in einem Café.

Es ist schon ein optisches Vergnügen, durch die Straßen von Luxor zu bummeln. Alles quillt über von Leben, ist bunt, laut und schrill. Aber wir sind ja auch wegen der Tempel hier, und die stehen am nächsten Tag auf dem Programm. Wie zu erwarten sind wir nicht die einzigen, die auf die Idee gekommen sind, die gigantische Tempelanlage von Karnak zu besuchen. Es gehört zum touristischen Pflichtprogramm, das 2 - 3 Millionen Besucher jährlich durch diese ehemals heiligen Säulenhallen führt. Der Busparkplatz ist fast ebenso groß wie der innere Tempelkomplex. Die Säulen im "Säulenwald" sind so gigantisch, daß vier Personen sie gerade umfassen können, und mit der Geschichte der einst mächtigen Herrscher vom Nil bedeckt. Man kommt sich sehr klein neben ihnen vor.

Die Flut von Informationen und historischen Fakten, die unser Führer über uns ergießt, ist kaum zu verkraften. Auch optisch wird man von fotogenen Bildern und Eindrücken fast erschlagen. Wagt man sich etwas abseits, so dauert es nie lange, bis man von einem kaftangewandeten Wächter angesprochen und mit vielsagenden Gesten irgendwo hingelockt wird. Meistens ist es eine Stelle, die einen guten Schnappschuß aus einer besonderen Perspektive erlaubt.

Oft wird man auch an offiziell nicht zugängliche Stellen geführt. Danach folgt sofort die offene Hand und das obligatorische "Bakschich, Bakschich". Wir merken bald, daß es gut ist, ein Bündel der zumeist völlig vergammelten 1-Pfund-Noten (0,40 DM) bei sich zu haben, die der übliche Gefälligkeitsobulus sind. Es ist immer wieder erstaunlich, wie raffiniert und phantasievoll aber ab und zu auch sehr platt man angebaggert wird. Weniger phantasievoll ist das mit der Zeit nervige "Where are you from?" oder "What is your name?".

Als mich ein turbangeschmückter Araber mit einem "Look, look! Sekhmet!" in eine entfernte Ecke des Tempels locken will, erlebe ich eine kleine Überraschung. In einem Gemäuer, fünfzig Meter abseits des Haupttempels und der Touristenmassen, hüten drei Wächter eine menschengroße schwarze Sekhmetstatue. Die Göttin mit dem Stab und dem Schlüssel des Lebens (Ankh) in der Hand hat die 4000 Jahre gut überstanden und ist eine der wenigen Statuen, die noch außerhalb von Museen einfach so abseits herumstehen.

Die Wächter haben offensichtlich die Marktlücke erkannt. Als ich in den Vorhof geführt werden, höre ich bereits ein vertrautes "Om" hinter verschlossenen Türen. Als kurz darauf die ersten Leute herauskommen, sind andere noch mit Auracleaning beschäftigt. Nachdem die letzten gegangen sind, läßt man mich allein und schließt die Tür mit dem vielsagenden Hinweis "Pray, pray, meditate". Man hat die Zeichen der Zeit erkannt und folgt offensichtlich einer bestehenden Nachfrage, denn dies ist nicht das letzte Mal, daß ich solche Worte höre beziehungsweise bei deren Erwähnung verschworene anerkennende Reaktionen bekomme.

Heilige Orte und Touristen

Später reihe mich wieder in den Strom der Touristengruppen ein und werde zum ehemaligen Hauptheiligtum gezogen: ein Raum von acht mal vier Metern mit einem großen Steinblock in der Mitte. Das hätten Geomanten einer anderen spirituellen Reisegruppe als den stärksten Ort ausgemacht, erklärt Ahmed, unser Führer. Ich setze meinen Walkman mit der entsprechenden Musik auf und lasse meiner Phantasie freien Lauf. Aus Erfahrung weiß ich, daß dies die beste Art ist, um an überlaufenen Orten außen ab- und innen anzuschalten. Was dieser Stein, dieser Raum durch die Jahrtausende alles gesehen haben mag? Welche Rituale hier wohl zelebriert wurden? Sowohl Priester als auch Priesterinnen haben hier gelebt und ihrem Glauben und ihren Göttern gehuldigt ; und heute: Foto hier, Foto da, klick-klack, Frau Meier, Mr. Smith und Co. stellen sich in Pose, ein Blitz und weiter geht's.

Fast alle ehemals heiligen Orte auf der Welt sind zu banalen Touristenattraktionen verkommen. Auch unseren großen Kirchen und Domen geht es nicht besser. Was wir in Ägypten und anderswo machen, tun die Amerikaner und Japaner bei uns. Keine Ehrfurcht, keine Andacht, dafür die immer gleichen Reden und Sprüche der Führer, klick-klack und weg. Wie vergänglich doch die Götter sind ...

Von daher ist es ein kleiner Lichtblick, daß durch die "Esoteriker" wieder etwas Respekt, wenn auch nur minutenweise, an diese alten heiligen Plätze getragen wird. Wenn ich mir vorstelle, daß die Erde oder die Götter an diesen Orten besonders hellhörig sein sollen, dann sieht es noch düster aus um unsere spirituelle Zukunft. Bis diese Plätze wieder die ihnen gebührende Behandlung erhalten und für Touristen verboten werden, wird wohl noch einige Zeit vergehen.

Das bringt mich zurück zu dem eigentlichen Grund, weshalb wir nach Ägypten kamen: Wir wollten sehen, ob die hiesigen Tempel und Pyramiden noch etwas von ihrer alten Kraft und Heiligkeit erhalten haben, insbesondere natürlich die Cheopspyramide. Wir hatten uns den 21. März ausgesucht, um, wenn möglich , eine gewisse Zeit dort allein verbringen zu können. Wir hatten den Namen der für die Erlaubnis verantwortlichen Person mit entsprechender Empfehlung, aber noch keinen Kontakt, und Equinox war bereits in vier Tagen ...

Die Serie der seltsamen Zufälle und Umstände, die dazu führten, daß unser Traum Wirklichkeit werden sollte, begann am Sonntag in Dendera, einem alten Heilungstempel eine Stunde nördlich von Luxor. Eigentlich hatten wir für diesen Tag einen Trip ins Tal der Könige geplant, aber Sheri fiel wegen Krankheit aus. So entschloß ich mich, auf eigene Faust allein dort hochzufahren. Die Fahrt im Taxi (für etwa 20 DM hin und zurück) war faszinierend und stressig zugleich. Die Dörfer, die Felder und Palmenhaine, alles erinnerte mich sehr an Indien - leider auch der Verkehr und der Fahrstil meines Taxifahrers. Man hupt sich seinen Weg frei und fährt mit Allah. Sicherheitsgurte werden, falls vorhanden, nicht benutzt, und Verkehrsregeln, die eingehalten werden, scheint es nicht zu geben. Man braucht schon starke Nerven und viel Gelassenheit, um so eine Fahrt zu überstehen. Aber hier scheinen höhere, mir nicht nachvollziehbare Gesetzmäßig-keiten zu regieren, denn ich habe die ganze Woche keinen Unfall gesehen, und das grenzt, vor allem in Kairo, an ein Wunder.

Meditation in der Krypta

Heil in Dendera angekommen, beginne ich, den im Vergleich zu Karnak überschaubaren und größtenteils überdachten Tempelkomplex zu erforschen. Seltsamerweise ist es mir bei fast allen meinen Kraftplatzreisen immer gelungen, für einige Zeit im Zentrum des jeweiligen Heiligtums allein zu sein. So auch hier. Ich muß erstmal einige Wächter abwimmeln, die mir irgendetwas zeigen wollen; dann entdecke ich die Krypta, in die man über eine Treppe und dann durch eine ein Meter große Öffnung fast kriechend hineinkommt. Drei kleine Räume mit ausdrucksstarken Bildern, die sehr gut erhalten sind, laden mich zu einer Meditation ein.

Viele Bücher weisen darauf hin, daß in den Tempeln und Pyramiden von Ägypten Symbole hinterlassen wurden, die in der Zeit des Wiedererwachens der Spiritualität dazu dienen sollen, programmierte genetische Codes zu reaktivieren und damit unsere Erinnerung zu stimulieren. Die Bilder der Gottheiten wie Horus, Isis, Osiris, Nuth, Toth und Anubis haben (wie schon auf der gesamten Reise) auf mich eine starke Anziehungskraft. Seit Tagen kaufe ich die Motive in allen Variationen auf Postkarten, Papyrus, Tassen und Kugelschreibern und fühle mich seltsam vertraut damit. So auch hier in der Stille der Krypta von Dendera. Irgendetwas berühren diese Bilder in mir, die fast sämtliche Wände und Säulen verzieren, aber ich kann es noch nicht (er-)fassen. Fast zehn Minuten habe ich für mich, was angesichts der vielen Gruppen, die sogar hierher kommen, erstaunlich ist. Kaum bin ich wieder oben, höre ich das vertraute "Om".

Im zentralen Raum hat eine größere Gruppe zwei Kreise gebildet und intoniert die heilige Ursilbe Indiens. Die Atmosphäre ist schlagartig verändert. Ich stelle mich in den Eingang und schließe die Augen. Auch wenn das nicht gerade die Gesänge sind, die ursprünglich hier gesungen wurden, hat es eine zentrierende und beruhigende Wirkung. Danach spreche ich eine Teilnehmerin an und erfahre, daß die 45-Personen-Gruppe aus den USA kommt und eine spirituelle Ägyptenreise macht, und zwar per Schiff den Nil hinunter. Die sieben Tempel, die sie besuchen wollen, sind den Chakren zugeordnet und werden so der Reihe nach "aktiviert". Man hat in Assuan angefangen und will an Equinox bei Sonnenaufgang in der Cheopspyramide meditieren.

So ein Zufall! Wir auch, nur mit dem kleinen Unterschied, daß diese Gruppe bereits eine Zutrittserlaubnis für volle drei Stunden hat. Man lädt mich und meine Freunde kurzerhand ein, an diesem besonderen Ereignis teilzunehmen. Ich danke dem glücklichen Zufall, der mich just zu dieser Stunde hierher geführt hat, und eile in den kühlen Schatten der Tempelhalle zurück.

In der Pyramide

Die nächsten Tage, die wir in Kairo verbringen, vergehen wie im Fluge. Am 20. März sind Sakkara und die Pyramiden angesagt. Wir wollen uns einen ersten Eindruck verschaffen und außerdem die amerikanische Gruppe treffen, die im "Meena-Haus", dem Tophotel direkt neben den Pyramiden, wohnt. Wir nehmen uns ein Taxi von unserem Hotel am Nil quer durch Kairo nach Gizeh. Vor Ort dauert es eine Weile, bis wir einige bekannte Gesichter am Pool ausmachen können. Die Begrüßungsworte sind jedoch niederschmetternd: "Hey, wo wart ihr heute morgen, als wir um fünf Uhr in die Pyramiden gegangen sind?" Wie bitte? Ich denke, ich höre nicht richtig: "Equinox ist doch erst am Donnerstag, den 21.3. Wieso seid ihr schon heute drinnengewesen?" Wir machen alle ziemlich betroffene Gesichter. Wie sich herausstellt, ist Equinox für diese Gruppe wegen des Schaltjahres am 20. März, daher haben sie ihre drei Stunden exklusiver Pyramidenmeditation bereits hinter sich. Sprachlos und frustriert begeben wir uns in Richtung Pyramiden.

Wie erwartet, stürzen sich gleich mehrere Leute auf uns die Zeit des freien Herumlaufens um die Pyramiden ist seit eini-ger Zeit vorbei. Jetzt muß man bereits für das Betreten des Geländes um die Pyra-miden zehn Pfund bezahlen. Der Einstieg in die Pyramiden kostet noch einmal das gleiche. Wir entschließen uns zur Flucht nach vorn und holen uns Tickets für die Cheopspyramide, die in einer Stunde, um 17 Uhr, schließt. Kaum hat uns der unscheinbare Eingang in etwa zehn Meter Höhe verschluckt, finden wir uns in einem kurzen Gang wieder, der dann abrupt einen steilen Gang hochführt. Jetzt wird es richtig anstrengend, denn der Gang ist höchstens einen Meter hoch, und die Stufen sind keine Stufen, sondern ein Brett mit kleinen Querbalken darauf. Die Luft ist stickig und schwül, und wann immer jemand entgegenkommt, wird es verdammt eng. Etwa fünf Minuten quälen wir uns so in einem Winkel von 45 Grad hoch, als sich der Gang endlich nach oben hin öffnet. Noch einmal geht es hundert Stufen aufwärts, bis wir gebückt durch eine kleine Öffnung in die Königskammer schlüpfen. Lothar setzt sich gleich in die Mitte der Kammer auf den Boden und beginnt, sich ungeachtet der lachenden und quasselnden Touristen, in eine Meditation zu versenken.

Mir verschlägt es erst einmal die Sprache. Da stehe ich nun im innersten Heiligtum eines der geheimnisvollsten und gigantischsten Bauwerke der menschlichen Kultur, und meine Gefühle zerren in zwei unterschiedliche Richtungen. Die offensichtlich dichte Energie dieses Raumes wird einerseits von unbewußten Touristen zerplappert und schleudert mich andererseits oder vielleicht gerade deswegen nach innen. Eine seltsame Mischung aus Wut, Ohnmacht und Ehrfurcht läßt mich zum stillen Beobachter werden. Leute kommen und gehen, und die Zeit scheint stillzustehen.

Als es auf fünf Uhr zugeht, kommt ein Wächter herein und meint, wir müßten jetzt gehen. Wir zücken ein paar größere Scheine und bitten darum, noch zehn Minuten allein sein zu dürfen. Nach kurzem Gefeilsche mit ängstlichem Blick auf die in der Ecke montierte Videokamera läßt er uns alleine. Was für eine Erleichterung! Sofort bilden wir ein Dreieck um den Sarkophag. Ich stehe in der Mitte des Raumes, und wir beginnen, Vokale zu intonieren. Die Akustik und die Wirkung sind umwerfend, vor allem im Mittelpunkt, und erzeugen eine "heilige" Gänsehaut. Tränen aus meinem tiefsten Inneren bahnen sich ihren Weg und perlen auf den staubigen Boden. Es ist, als ob meine Gefühle Purzelbäume in eine noch nicht faßbare, aber trotzdem vertraute Vergangenheit machen.

Aber bevor ich in diesen Zeit- und Gefühlsstrudel eintauchen kann, erscheint wieder der Wächter und holt uns in die ernüchternde, ägyptische Realität des zwanzigsten Jahrhunderts zurück.

Das Sternentor

Immer noch in leichter Trance, gleite ich den Gang hinunter und werde kurz darauf in die grelle Nachmittagssonne ausgespuckt. Ich kann immer noch nicht reden und verziehe mich mit meinem Walkman auf ein paar gigantische Steinblöcke fünfzig Meter abseits. Später begebe mich zurück ins Hotel, das im Zentrum der Stadt, 8 Stockwerke oberhalb des Nils und an einer fünfspurigen Straße liegt. Ich sinke in einen traumvollen Schlaf, aus dem mich um Mitternacht gnadenlos das Telefon reißt. Die Nachricht, die in mein Ohr dringt, läßt mich allerdings sofort in die Senkrechte kommen: An diesem Morgen, dem 21., soll angeblich eine andere amerikanische Gruppe die Cheops-Pyramiden von 5.00 bis 8.00 Uhr gebucht haben: Treffpunkt um 4.30 im Meena-Haus. Das lassen wir uns natürlich nicht zweimal sagen, und so finden wir uns vier Stunden später in einem Taxi auf dem Weg nach Gizeh wieder. Eine Handvoll seltsamer Zufälle hat uns der Erfüllung unseres Traumes wieder nähergebracht ...

Sharon, die Gruppenleiterin, vertraut ihrem Gefühl und der Tatsache, daß durch uns die Zahl 22 der Großen Arkana erreicht sei, und so läßt uns kurz darauf ein verschlafener Araber in die durch die Stille und Reinheit der Nacht "geklärte" große Pyramide hinein. Was für ein Unterschied! 22 eingestimmte Menschen begehen den initiatischen Gang in das Innere der Pyramide. Obwohl die folgenden drei Stunden nicht alle diese Qualität haben, zahllose Momente hinterlassen bei vielen tiefe Spuren im Geist und im Herzen. Manche Träne fließt, und manches Gebet steigt gen Himmel. Das gemein-same Singen vereint die Gruppe für eine kleine Ewigkeit.

Diesmal haben wir die Zeit und Gelegenheit, für einige Minuten im Sarkophag zu liegen, eine Erfahrung, über die ich nicht weiter sprechen kann, weil sie einfach zu persönlich ist. Auch die Bilder und Eindrücke, die mich in der Königinnenkammer überkommen, sind mit Worten kaum wiederzugeben. Ich habe wieder einmal das Glück, zehn Minuten allein in der unbeleuchteten, sehr viel kleineren „Gruft" zu verbringen. Auch hier herrscht wieder eine eigenartig starke Akustik. Ich, der ich fast nie singe, höre mich eine eigenartige Melodie intonieren, die mich selbst in Trance versetzt. Ich habe das Gefühl, im Zentrum einer riesigen kosmischen Empfangs- und Sendestation zu stehen, deren dreifache Antennen oder Peilspitzen genau auf ein bestimmtes Sternsystem ausgerichtet sind und einer intergalaktischen Kommunikation dienen. Ich weiß von der Theorie, daß die Anordnung der Pyramiden genau der des Orion-Systems entspricht und daß die zwei Schächte, deren Funktion bisher ungeklärt ist, zu bestimmten Zeiten exakt auf diese Sternengrupppe zeigen. Bisher war das zweimal der Fall: zuerst um 10 500 v. Chr., dann wieder um 2500 v. Chr., und das nächste Mal wird dieses "Sternentor" sich um das Jahr 2000 öffnen.

Aufstieg zum Licht

Als ich mit bereits wackligen Beinen aus dem nur ein Meter hohen und zehn Meter langen Gang der Königinnenkammer herauskomme, entdecke ich, daß das normalerweise verschlossene Tor, das ins Fundament der Pyramide führt, offen steht. Ein wieder nur meterhoher Gang weist in eine schier endlose Tiefe. Ohne an mögliche Folgen meines mutigen einsamen Abstiegs zu denken, krieche ich abwärts, eine harte Prüfung für meine untrainierten Beinmuskeln. Wie durch einen Geburtskanal quäle ich mich schließlich ins helle Licht eines rohen, grob behauenen Raumes mit einem mittlerweile trockenen Brunnenloch.

Eine wahrhaftige Grabesstille umfängt mich, und ich erinnere mich an die Aussage eines Channelmediums, daß ich einst die Pyramideninitiation verfehlt hätte. Ein, wie ich gelesen habe, tödlicher Ausgang. Aber ich spüre keine Angst oder Beklemmung. Ich bete und danke dem Schöpfer, hier sein zu dürfen und gebe ein inneres Versprechen für die Zukunft ab.

Es sind wieder rund zehn Minuten, die ich in einem thronartigen Steinsitz verbringen darf, bevor drei Typen aus der Gruppe in den Raum hineinpurzeln. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold ... Sie entscheiden sich für Silber, und ich verlasse mit meinem geistigen Goldschatz diesen magischen Ort.

Der Aufstieg zum Licht ist mühsam und über 150 Stufen hoch. Der Preis für mein Abenteuer ist ein Muskelkater, der mich in den kommenden zwei Tagen bei jeder Treppe einknicken oder aufstöhnen läßt. Aber diesen Preis bezahle ich gerne, und ich verspreche mir selbst, bald mit einer eigenen Gruppe, die für diese Erfahrung beziehungsweise "Einweihung" gut vorbereitet sein wird, wiederzukommen.

pyramidenspirit

 

 

 

 

David Luczyn ist Autor von "Magisch Reisen Deutschland" (Arkana) Journalist und Fotograf.

 

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